Lesen Sie das Interview mit Zdenko Sojčić und erfahren Sie, was ihn an der Arbeit mit dem Städtischen Musikverein Gladbeck begeistert und wie er die Zukunft der Chormusik im Allgemeinen einschätzt.
Interviewer : Wie man aus Deiner Vita entnehmen kann, hast Du schon mit vielen Chören gearbeitet und leitest im Moment meines Wissens nach 3 Chöre. Was hat Dich dazu bewogen die Leitung des Gladbecker Musikvereines, also eines Oratorienchores, zu übernehmen.
Zdenko Sojčić : In erster Linie die überaus spannende Aufgabe, einen Chor Jahr für Jahr auf ein großes Chor-Orchesterkonzert vorzubereiten und mit ihnen dabei spektakuläre Literatur zu erschließen.Darüber hinaus wollte ich als ein in Gladbeck lebender Musiker meinen Beitrag dazu leisten,
dass in dieser Stadt mit „Bordmitteln“ eine wertvolle Konzerttradition fortgeführt werden kann, auch wenn sich der Musikgeschmack der breiten Mehrheit zweifelsohne in eine andere Richtung entwickelt hat.
I: Für einen Besucher dieser Homepage ist es mit Sicherheit interessant zu wissen, was unterscheidet denn die Chorarbeit z.B. eines Gospelchores oder eines Männerchores von der eines Oratorienchores?
Z: Alles in allem lässt sich das auf die zu singende Literatur zurückführen:
Die Musikstücke, die Gospel- oder Männerchöre größtenteils vortragen, sind in der Regel kurze Strophenlieder, die homophon vorgetragen werden. Demgegenüber sind Oratorien in aller Regel durchkomponierte Werke, die zu einem hohen Anteil polyphon gestaltet sind. Das verlangt nach einem viel größeren Musikverständnis, das ich den Sängerinnen und Sängern vermitteln sollte, damit sie sich etwa in einer 60minütigen Aufführung zurechtfinden können. Darüber hinaus muss ich den Sängerinnen und Sängern auch den Orchesterpart nahebringen, damit ein gemeinsames Musizieren von Chor und Orchester beim Konzert überhaupt gelingen kann. Dies fällt in der Probenarbeit für reine Choraufführungen selbstverständlich weg.
I: Du arbeitest das ganze Jahr mit dem Musikverein auf einen Auftritt hin und die Proben dafür sind oft sehr arbeitsintensiv. Immer wieder dieselben Passagen einstudieren und korrigieren. Was treibt Dich an, diese Probenarbeit zu leiten? Ist es die Faszination an der Musik oder an der Arbeit mit dem Chor oder etwas anderes?
Z: So wie zu einem guten Essen die Zubereitung gehört oder zu einem Urlaub auch die Hin- und Rückreise, so gehört zu einem Konzert auch die entsprechende Vorbereitung. Die Vorfreude auf das gemeinsame Konzert trägt mich auf dem Weg dorthin. Außerdem ist es faszinierend mitzuerleben, wie der Chor schwierig umzusetzende Stellen zunehmend besser meistert – auch dank der Hilfestellungen, die ich geben kann und meiner Beharrlichkeit.
I: Du, als musikalischer Leiter des Musikvereines, bestimmst ja die musikalische Ausrichtung, also die Werke, die einstudiert und aufgeführt werden. Nach welchen Kriterien gehst Du bei der Auswahl der Werke vor?
Z: Wenn ich jetzt sage: „Einfach nach dem Lustprinzip!“, dann ist das zwar richtig aber nicht umfassend genug. Ich wähle in erster Linie die Literatur danach aus, ob sie dem Chor, mir und auch dem Publikum Freude bereiten kann. Dann achte ich darauf, welche von den vielen möglichen Stücken dem Chor liegen. Manchmal muss man sich auch mit einem Partnerchor verständigen, so wie das 2015 für unser Konzert auf Norderney der Fall ist. Ich bemühe mich jedenfalls darum, keinen Alleingang zu unternehmen, sondern die Sängerinnen und Sänger mit ins Boot zu nehmen und im Vorfeld von der Auswahl zu begeistern, auch wenn ich als künstlerischer Leiter die letzte Entscheidung habe.
I: Für Dich scheint Musik ja ein Teil Deines Lebens zu sein. Bist Du eher ein Liebhaber der Klassischen Musik oder auch offen für andere musikalische Stilarten?
Z: Beides! Ich liebe die sogenannte „Klassische Musik“ und beschäftige mich intensiv mit ihr, bin aber gleichzeitig offen für nahezu alle anderen musikalischen Stilarten. Auch wenn ich diese in meinem Leben nicht so hochdosiert konsumiere, wie vielleicht die meisten anderen Zeitgenossen, so lasse ich mich doch gerne davon inspirieren.
I: Was gibt es noch für große Ziele in Deinem musikalischen Leben, die Du gerne noch erreichen möchtest?
Z: Die Frage ist sehr vielschichtig und deshalb nicht leicht zu beantworten.
Als Chorleiter ist es sicherlich ein Ziel, mit dem Musikverein noch viele schöne Konzerte anzubieten und sich dabei immer wieder neue Literatur zu eigen zu machen. Dafür wünsche ich mir, dass der Chor noch weitere motivierte Mitglieder hinzugewinnt und auch regelmäßig Konzerte in anderen Städten gibt.
Als ausübender Musiker habe ich bspw. einige Ideen für die Orgelkonzerte, die ich immer noch regelmäßig gebe.
Leider kann ich nicht alle meine musikalischen Träume verwirklichen, weil mir dafür die nötige Zeit fehlt. Seit 2005 arbeite ich nicht mehr als hauptamtlicher Musiker, sondern widme mich als Gymnasiallehrer und Fachleiter am ZfsL Gelsenkirchen vor allem der Frage, wie man Musik an Schülerinnen und Schüler vermittelt.
I: Als Musiklehrer arbeitest Du ja mit Jugendlichen und versuchst ihnen das Thema Musik näherzubringen. Ist die Jugend Deiner Meinung nach für eine Musik, wie z.B. das aktuelle Werk des Musikvereines „Der Lobgesang“ zu begeistern?
Z: Grundsätzlich würde ich eine solche Frage immer mit „Ja“ beantworten.
Realistischerweise werde ich selbst bei größten Anstrengungen bei einigen Jugendlichen nie ein „Hurra“ entlocken. Dafür spielen viele Faktoren eine Rolle, die ich nicht beeinflussen kann, wie etwa die musikalische Sozialisation oder auch die Lebenseinstellung oder Lebenserfahrung.
Ich kenne das aber auch aus meiner eigenen Biographie: Als Jugendlicher konnte ich große musikalische Spannungsbögen nicht so gut nachvollziehen – heute fällt mir das viel leichter.
Daher bin ich umso mehr erstaunt und erfreut darüber, dass ich auch einige (wenige) Jugendliche kenne, die sich für diese Musik begeistern können.
I: Wenn man bei Youtube mal die Auftritte anderer Chöre betrachtet, dann kann man Chöre mit modernem Repertoire sehen und sieht aber auch Chöre, die mit choreigener Choreografie arbeiten, etc. Führt man sich nun Auftritte des Musikvereines vor Augen, dann ist der Kontrast zu den oben genannten Chören schon groß. Die Auftritte wirken sehr seriös und der Chor ist eher ein Teil der gesamten Aufführung, zusammen mit dem Orchester und den Solisten. Dennoch entdeckt man in den Reihen der Sänger/innen auch junge Gesichter, also junge Menschen, die sich für die großen klassischen Werke begeistern können. Was ist Deiner Meinung nach das faszinierende an dieser Art Musik?
Z: Mich selbst fasziniert die Tatsache, an großer Kunst mitwirken zu können. An Kunst, die teilweise Jahrhunderte überdauert hat und nicht lediglich eine kurze Episode in den kommerziellen Charts hatte, sondern eine gewisse Würde mit sich bringt. Ich kann schwerlich für die jungen Menschen in unserem Chor sprechen, aber vielleicht reizt es sie ja gerade, auch Teil dieser Kunst zu sein – eben als Teil einer Gesamtaufführung.
I: Was meinst Du: Entgeht jungen Menschen etwas, wenn sie sich klassischer Musik nicht öffnen oder sagen wir mal, sie als schwere Kost abtun. Kann man denn mit z.B. Hip Hop oder Rap Musik musikalisch gesehen nicht auch „glücklich“ sein oder werden?
Z: Jeder soll selbstverständlich nach seiner Façon selig werden. Dennoch glaube ich fest daran, dass jedem, der diesen musikalischen Schatz nicht hebt, etwas entgeht. Das ist genauso wie beim Essen oder bei der Literatur: Auch Fastfood oder Comics allein können glücklich machen, auch wenn dadurch unbestritten viele sinnliche Erfahrungen oder Bereiche der Fantasie nicht abgedeckt werden. Wohl wissend, dass man in den genannten Bereichen durchaus tiefer vordringen könnte, liegt es wohl in der Natur der Sache, Musik wie auch Essen oder Literatur oftmals nach dem eigenen Horizont zu beurteilen und sich damit zufrieden zu geben.
I: Ist es Deiner Meinung nach altersabhängig, ob man sich mit klassischer Musik beschäftigt oder nicht?
Z: Alter spielt vielleicht insofern eine Rolle, als dass sich Perspektiven etc. verändern und sich evtl. die nötige Ruhe hinzugesellt. Auf der anderen Seite zeigt sich immer wieder, dass Kinder, die frühzeitig Kontakt zur klassischen Musik erhalten haben, sich auch nachhaltig mit ihr beschäftigen und nicht nur vorgetäuschte Freude daran haben.
Insofern sehe ich eher die Vorbilder der Heranwachsenden als einen entscheidenden Grund dafür an, für welche Stilrichtungen man Interesse aufbaut:
Das sind zunächst die Eltern, später aber vor allem die Medienlandschaft und die Peergroup.
I: Wäre es für Dich vorstellbar an einer Verschmelzung verschiedener musikalischer Stilarten zu arbeiten? Also Chor, Orchester und modernere Musikrichtungen zusammenzubringen? So etwas hat es ja schon öfter gegeben, wenn man an große Sinfonieorchester denkt, die sich bei Veranstaltungen wie z.B. bei Rock meets Classic einbringen. Es besteht da ja offensichtlich ein großes Publikum, das sich für so eine Zusammenarbeit begeistern kann, ja wohl auch viele junge Menschen!
Z: Vorstellbar auf jeden Fall. Solche Crossover-Veranstaltungen haben einen gewissen Reiz und bieten auch entsprechende Chancen, wie ich finde. Allerdings wandelt man oftmals auf einem schmalen Grad zwischen Kunst und Kitsch.
Ob und wie Crossover-Veranstaltungen für uns als Musikverein realisierbar wären, kann ich nicht abschätzen, weil dabei Werbung, Logistik und vor allem das Finanzielle eine erhebliche Rolle spielen.
I: Große klassische Werke haben ja in allen Epochen ihre Anhänger gefunden und wenn man heute in die großen Opernhäuser schaut, sind die Veranstaltungen ja oft ausverkauft. Wenn man nun mal in die Zukunft schaut und sich die musikalische Landschaft in 10 ,20 oder auch 30 Jahren vorstellt. Was meinst Du: Wird es so bleiben oder sind da Veränderungen denkbar? Wird Chormusik dann immer noch beliebt sein?
Z: …zumindest hoffe ich, dass Chormusik dann immer noch beliebt sein wird.
Ich hoffe sehr, dass das eigene Tun, also hier das Singen in einer Chorgemeinschaft, nicht durch individuelle Erfahrungen des MP3-Konsums gänzlich zurückgedrängt wird.
I: Jetzt zum Schluss möchte ich mal gezielt fragen, was denkst Du sind die größten Hürden, die im allgemein jemanden, ganz abgesehen vom Alter, davon abhalten, in einen Chor zu gehen?
Z: Viele trauen sich bereits nicht, den ersten Schritt zu unternehmen, weil sie niemanden aus dem Chor kennen oder ihr eigenes Leistungsvermögen für unzureichend halten. So gesehen ist es immer hilfreich, zumindest einen Ansprechpartner zu haben. Kurioserweise haben meiner Meinung nach immer noch viel zu viele Menschen offenbar niederschmetternde Kritik bezogen auf ihren Gesang erhalten und wundern sich Jahrzehnte später, dass sie einen wertvollen Anteil zum Gelingen eines Chorstücks beitragen können.
Oft sagen mir gerade diese Sängerinnen oder Sänger, dass sie durch den Chor nicht nur eine neuartige Freude, sondern auch neue Freundschaften gefunden haben.
I: Gibt es denn hier im Gladbecker Musikverein so etwas wie Vorsingen, wenn man gerne mal im Chor mitsingen möchte?
Z: Nein, so auf gar keinen Fall! Allerdings ist es hilfreich, wenn man Singen neu für sich entdeckt hat, ein Beratungsgespräch mit mir in Anspruch zu nehmen. In so einer vis-à-vis-Situation kann ich gezielt und gezielter individuelle Hilfestellungen geben. Das geschieht immer erst, nachdem sich jmd. „akklimatisiert“ und auch die innere Bereitschaft dafür hat. Wozu sollte ein klassisches Vorsingen dienen? Viele sind bereits chorerfahren – bei denen ist das nicht unbedingt nötig. Und sollte jmd. tatsächlich technische Schwierigkeiten, die sich nicht ohne Weiteres beheben lassen, mit der zu singenden Literatur haben, stelle ich das im Laufe der Chorproben fest und gebe unter vier Augen eine einfühlsame, aber bestimmte Rückmeldung. Daher ist Vorsingen als Bedingung um mitzumachen meines Erachtens auch nicht nötig.
I: Es gibt ja den bekannten Satz: jeder Mensch kann singen? Siehst Du das auch so?
Z: Diesen Satz kannte ich noch gar nicht und würde ihn auch so nicht unterschreiben, weil es das Kunstvolle, das wir anstreben, abwertet. Kann jeder Mensch dichten oder Tennis spielen? Möglicherweise grundsätzlich schon, aber ab einem gewissen angestrebten Grad spielen viele Faktoren eine Rolle, um gut zu sein. So ist es auch mit dem Singen. Spannender finde ich in jedem Fall, das Beste herauszukitzeln, um als Chorgemeinschaft ein klangschönes Ergebnis und Erlebnis zu formen.
I: Vielen Dank für dieses Interview! Es war sehr interessant und aufschlussreich, Deine Meinung und Ansichten zu den angesprochenen Themen zu erfahren!
Z: Sehr gerne!
Das Interview wurde vom Medienwart Alfred Steinhoff geführt.